Auktionshaus

Auktion: Klassische Moderne

08. Juli 2021, 14:00 Uhr

2006

Gustav Klimt

(Wien 1862 - 1918 Wien)

„Nach links schreitender nackter Knabe, Arm-, Hand- und Beinstudien“
um 1886/87
Schwarze Kreide auf Papier
30,8 x 24 cm

Provenienz

ehemals Sammlung König, Gmunden;
österreichischer Privatbesitz

Dr. Marian Bisanz-Prakken (Albertina, Wien) wird diese Zeichnung in den Ergänzungsband zu dem von Alice Strobl publizierten Werkverzeichnis der Zeichnungen von Gustav Klimt aufnehmen.

Schätzpreis: € 25.000 - 50.000
Ergebnis: € 23.040 (inkl. Gebühren)
Auktion ist beendet.

In zahlreichen Allegorien des Historismus bilden Putti, Amoretten oder purzelnde kleine Engel ein verspieltes Gegengewicht gegen die streng kontrollierten Stellungen und Gesten der erwachsenen Protagonisten. Auch der junge Gustav Klimt folgte dieser weit zurückreichenden Bildtradition. In vielen Skizzen versuchte er die Beweglichkeit der Säuglinge und Kleinkinder, die er unmittelbar nach der Wirklichkeit studierte, zu verinnerlichen. Schon früh ragte er durch die Subtilität seiner Linien heraus, mit denen er die körperliche wie seelische Essenz seiner kleinen Modelle zu erfassen versuchte.

Das hier präsentierte, bisher unbekannte Blatt mit Haupt- und Detailstudien eines schreitenden nackten Knaben weist keinen unmittelbaren Bezug zu einem bestehenden Gemälde auf. Motivisch und stilistisch stimmt es aber weitgehend mit dem 2003 erstmals bekannt gewordenen Studienblatt eines in Spreizstellung stehenden nackten Knaben überein, das Klimt für eine der Kinderfiguren seines Gemäldes „Thespiskarren" gezeichnet hat (Auktionskatalog Dorotheum Wien, 26. November 2003, Nr. 14. Erstbestimmung durch Marian Bisanz-Prakken). Letzteres entstand zwischen 1886 und 1888 als Teil der Deckendekoration des rechten Stiegenhauses im neuen Burgtheater; vielleicht war der schreitende Knabe ursprünglich als junge Begleitfigur des gleichfalls tänzerisch nach links schreitenden Flötenspielers vorgesehen. Beide Blätter bestechen durch die kompromisslose Präzision der Umrisslinien, durch die äußerst fein modellierenden Schraffen wie auch durch die einfühlsame Charakterisierung der Kindergestalten und deren Körperdetails.

Als Zeichner befand Klimt sich auf dem Höhepunkt seiner historistischen Phase. In der vorliegenden Arbeit wirkt manches bereits modern – so auch die Art, in der sich das Geschlecht des Buben in der Detailstudie wie in der ganzen Figur als helle Negativform herausbildet. Zugleich kündigt der nachdenkliche, für den Historismus untypische Gesichtsausdruck des Kindes Klimts grundlegende Wende zum Symbolismus an. Für seine jüngsten Mitmenschen hatte der introvertierte Künstler ein besonderes Gespür, das sowohl in den Kinderfiguren seiner modernen Lebensallegorien als auch in seinen gemalten und gezeichneten Kinderbildnissen zu eindrucksvollen Ergebnissen führen sollte.
(Marian Bisanz-Prakken)