Auktionshaus

Auktion: Zeitgenössische Kunst

22. Juni 2023, 16:00 Uhr

5006

Hermann Nitsch*

(Wien 1938 - 2022 Wien)

„Aktionsrelikt“
1987
Öl und Blut auf Leinen, auf Leinwand aufgezogen; ungerahmt
83,5 x 168,5 cm
Signiert, datiert und bezeichnet rechts oben: Nitsch 1987 Aktionsrelikt

Provenienz

österreichischer Privatbesitz

Schätzpreis: € 50.000 - 100.000
Auktion ist beendet.

Die Aktionsrelikte sind wesentlicher Bestandteil des Werkes von Hermann Nitsch. Neben den Fotografien bilden sie das Aktionsgeschehen in auratischer Bildform ab und bewahren es für die Nachwelt. Dabei kommt in den mit Blut und Farbe bespritzen Tüchern und Leinwänden die Unmittelbarkeit und Dynamik der genau choreografierten Ereignisse eindrucksvoll zum Ausdruck. Vorliegendes Relikt stammt aus der 20. Malaktion, die 1987 in der Secession in Wien stattgefunden hat.

Blut und Farbe ergänzen einander in einem dynamischen Spiel der Kräfte. Die beiden Substanzen, die für den Künstler gleichwertig anzusehen sind, überlagern, umkreisen und verfolgen einander in einem wilden, tanzenden Inferno. Sinnliche Sensationen haben sich hier den Weg auf die Leinwand gebahnt. Das Verdrängte, im postmythologischen Zeitalter durch gesellschaftliche Normen Eingehaltene drängt an die Oberfläche und findet hier zu einer stringenten Form. Dem orgiastischen Sinnenrausch in der einen Bildhälfte stellt sich ein fast geometrisch anmutender Farbblock, ebenfalls in Rot, gegenüber. Diesen hat der Künstler mit breitem Pinsel in raschem Duktus auf die Leinwand gesetzt, überlagert darunterliegende Blut- und Farbspritzer, wie wenn er einen Gegenpol zum ausufernden Geschehen schaffen wollte.

In der Aktionsmalerei stellt Hermann Nitsch die Frage „nach der lebendigkeit, nach der verdrängten lebendigkeit, nach der unaufhörlichen lebendigkeit, nach dem unauslotbaren grund unserer natur.“ (Hermann Nitsch in: Hermann Nitsch. 6-Tage-Spiel in Prinzendorf 1998, Ausstellungskatalog, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Palais Liechtenstein, Wien 1999, S. 12) Seine Kunst ist lebensbejahend bis zum Exzess, denn erst der Ausbruch aller Emotionen, aller Triebe kann zur erwünschten Katharsis führen. Die genaue Orchestrierung im Rahmen des Orgien Mysterien Theaters mit all seinen Einzelaktionen ist dabei essentiell, denn sie kanalisiert die freiwerdenden Kräfte. Hermann Nitsch komponiert seine Aktionen, schafft mit genauen Partituren einen Spielraum, in dem sich das Geschehen entfalten kann. Dabei „bürgt“ die Form – in vorliegendem Aktionsrelikt versinnbildlicht durch das ruhige, bewusst zurückhaltende Farbfeld – „für den sinnzusammenhang des spieles, die form ist eine staumauer, die alle wachgerufenen, dionysischen, triebhaften, orgiastischen emotionen und triebdurchbrüche abfängt und aufhält, sie verhindert den alles verschlingenden exzess der ausbrechenden (unauslotbaren) naturkraft.“ (Hermann Nitsch in: Hermann Nitsch. 6-Tage-Spiel in Prinzendorf 1998, Ausstellungskatalog, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Palais Liechtenstein, Wien 1999, S. 12)

(Sophie Cieslar)