Auktionshaus

Auktion: Zeitgenössische Kunst

30. Juni 2022, 17:00 Uhr

2203

Hermann Nitsch*

(Wien 1938 - 2022 Wien)

„Relikt (109. Aktion)“
2001/2015
Acryl, Blut auf Stoff; ungerahmt
158 x 230 cm
Signiert und datiert links oben: Hermann Nitsch 2001
Signiert und datiert rechts unten: Hermann Nitsch 2015
Rückseitig bezeichnet: 109. Aktion, 17.11.2001
Überschüttet mit Acryl im Jahr 2015

Provenienz

österreichischer Privatbesitz

Eine Expertise (in Kopie) der Nitsch Foundation liegt bei.

Schätzpreis: € 70.000 - 140.000
Ergebnis: € 131.500 (inkl. Gebühren)
Auktion ist beendet.

Das Werk, das uns der im April verstorbene Künstler Hermann Nitsch hinterlässt, ist so faszinierend vielschichtig, wie umfangreich. Allein 158 Aktionen und 96 Malaktionen hat er im Lauf der Jahrzehnte beginnend mit den frühen 1960er Jahren abgehalten. Schon in der frühen Aktionsmalerei versucht er, das für ihn „wesentliche ereignis der durch den malprozess ausgelösten (sinnlichen) erregung auf einer bildfläche festzuhalten und zu konservieren“ (https://www.nitsch-foundation.com/press/jahresrueckblick-2017-und-vorschau-rund-um-hermann-nitsch/, zugegriffen am 15.5.2022).

Der sich zur Aktion steigernde Malprozess wird immer wesentlicher und geht über die Abbildwelt einer Bildfläche weit hinaus. Farbe und Blut erfüllen den Raum, der bespielt von zusehends ausgefeilteren Szenenabfolgen, begleitet von Kompositionen Herman Nitschs, Bestandteil eines Gesamtkunstwerkes wird. Die Wirklichkeit mit allen Sinnen zu erfassen, ist das erklärte Ziel. Dabei erhebt sich die Frage nach einer Konservierbarkeit der Aktionseindrücke. Die fotografische Dokumentation wird alsbald als zu statisch empfunden und Nitsch geht bereits 1968 dazu über, bespritzte und beschüttete Gewänder und Tücher als Relikte, als authentische Dokumente der Geschehnisse aufzubewahren. (Kat.-Nr. 2257, 2258) Sie sind somit wesentlicher Bestandteil des aktionistischen Gesamtkonzepts des Künstlers.

2001, während der 109. Aktion im Pöstlingbergschlössl in Linz entstanden, ist dieses großformatige Relikt in Acryl und Blut auf Stoff. Die aufgeladene Stimmung während einer Aktion, die unglaubliche Spontaneität mit der Flüssigkeiten und Farben den Raum erobern, kann in dieser Arbeit erfühlt werden. Dabei ist es faszinierend, wie die dadurch entstandene Komposition in sich geschlossen und kraftvoll zentriert wirkt. Dabei sieht Hermann Nitsch diese Art der Aktionsmalerei keineswegs als „wiederaufleben der informellen kunst“, sondern als „visuelle grammatik des o(rgien). M(ysterien). theaters exempelhaft auf bildflächen gezeigt“ (https://www.nitsch.org/actions/16-2/, zugegriffen am 15.5.2022). Er begreift den Entstehungsakt der Relikte also nicht als Malen im eigentlichen Sinne, sondern als Konservieren eines spontanes Ereignisses, als Erfassen der Spuren eines Geschehens und somit als Teil eines großen Ganzen, das aber dennoch als Einzelbild die große Urgewalt des Orgien Mysterien Theaters entfalten kann.

(Sophie Cieslar)