Auktionshaus

Auktion: Klassische Moderne

09. März 2022

Objektübersicht
Objekt

2001

Gustav Klimt

(Wien 1862 - 1918 Wien)

„Bildnis eines Mädchens mit entblößter Schulter“
um 1884
Schwarze Kreide, weiß gehöht auf Papier
32 x 28 cm (Rahmenausschnitt), 41,5 x 31,2 cm (Blattgröße)
Bezeichnet von fremder Hand rechts unten: Gustav / Klimt
Rückseitig Babystudien

Provenienz

Dorotheum Wien, 26.05.1992, Nr. 1;
Privatbesitz, Steiermark

Marian Bisanz-Prakken (Albertina, Wien) wird diese Zeichnung in den Ergänzungsband zu dem von Alice Strobl publizierten Werkverzeichnis der Zeichnungen von Gustav Klimt aufnehmen.

Schätzpreis: € 25.000 - 50.000
Ergebnis: € 32.000 (inkl. Gebühren)
Auktion ist beendet.

Das subtile Dreiviertelbildnis eines kleinen Mädchens, dessen linke Schulter durch die teils herabgerutschte, leichte Oberbekleidung nackt hervorleuchtet, ist eines der zahlreichen Blätter, die nach Alice Strobls Publikation des vierbändigen Werkverzeichnisses der Zeichnungen Gustav Klimts zutage kamen. Die Haare des jungen Modells sind mit einer flüchtig angedeuteten Masche lose gebunden. Der linke Oberarm ruht in vertikaler Stellung, während sich der im Ansatz angedeutete rechte Arm nach vorne streckt.

Auf Grund der behutsam definierenden Umrisslinien sowie der fein nuancierten Weißhöhungen datierte ich die Arbeit vor knapp dreißig Jahren um 1883. In letzter Zeit stieß ich auf mehrere Übereinstimmungen zwischen Klimts gezeichnetem Mädchenbildnis und seiner Kindergestalt der Allegorie „Sommer“, die 1884 für die malerische Ausstattung des Theaters im Schloss Pelesch in Rumänien entstand (Vgl. Abbildung Gustav Klimt, Sommer, Wien, 1884, Schloss Peleș © Muzeul Național Peleș, Sinaia, Inv. Nr. 8102, abgebildet in: Ervin Dubrović (Hg.)/Deborah Pustišek Antić (Hg.), The Unknown Klimt - Love, Death, Ecstasy, Ausstellungskatalog Stadtmuseum Rijeka, Rijeka 2021, S. 38). Das vorgebeugt kniende Mädchen, das ihre rechte Hand nach einer der vielen weißen Blumen ausstreckt, zeigt das gleiche Alter wie das junge Modell des gezeichneten Porträts. Es trägt ebenfalls ein leichtes, noch tiefer herabgerutschtes Kleidchen, das die ganze Brust- und Schulterpartie preisgibt. Obwohl sich der Oberkörper der gemalten Kindergestalt fast horizontal vorbeugt, scheint Klimt sich in der Stellung der Arme an der aufrecht Sitzenden der hier besprochenen Zeichnung zu orientieren. Beim Gesicht hingegen entschied sich der rund 22-jährige Künstler anstelle der Dreiviertelansicht für die Profilposition, wobei es auch zu Änderungen in der Haartracht kam: Die lose gebundenen Haare weichen einem im Nacken zusammengerollten Zopf.

Diese um 1884 zu datierende Zeichnung geht Klimts Studien für die 1885 vollendeten Deckenmalereien im Stadttheater von Fiume (heute Rijeka), die einen Durchbruch in seinem zeichnerischen Werk markieren, knapp voran (s. Marian Bisanz-Prakken, Gustav Klimt’s Drawings for the Ceiling Paintings in the Fiume/Rijeka Teatro Comunale, in: Ausstellungskatalog Rijka 2021, pp 98-115). Die Arbeit ist als ein frühes Beispiel für Klimts gründliche zeichnerische Auseinandersetzung mit dem Wesen seiner allegorischen Figuren anzusehen. Seit Anbeginn bemühte er sich um die typologisch adäquate Wahl seiner Modelle, in deren psychologische Eigenschaften er mit den subtilen Mitteln der Zeichnung viel tiefer einzudringen vermochte als mit der Technik der Malerei. So geriet auch diese intime, sorgfältig ausgeführte Charakterstudie des anonymen Mädchens zu einem autonomen Kunstwerk, das über den Verwendungszweck weit hinausgeht.
(Marian Bisanz-Prakken)